Theodor Storm
Es weihnachtet sehr…
Es wird Weihnachten! Mein
ganzes Haus riecht schon nach braunem Kuchen – versteht sich nach Mutters Recept
– und ich sitze so zu sagen schon seit einer Woche im Scheine des Tannenbaums. Ja,
wie ich den Nagel meines Daumens besehe, so ist auch der schon halbwegs
vergoldet. Denn ich arbeite jetzt Abends nur in Schaumgold, Knittergold und
bunten Bonbonpapieren; und während ich Netze schneide und Tannen- und
Fichtenäpfel vergolde, und die Frauen, d. h. meine Frau und Röschen, Lisbeth’s
Puppe ausputzen, liest Onkel Otto uns die „Klausenburg“ von Tieck vor, oder
gibt hin und wieder eine Probe aus den Bilderbüchern, die Hans und Ernst auf
den Teller gelegt werden sollen. Gestern Abend habe ich sogar Mandeln und
Citronat für die Weihnachtskuchen schneiden helfen, auch Kardamom dazu gestoßen
und Hirschhornsalz. Den Vormittag war ich stundenlang auf den Bergen in den
Wäldern herumgeklettert, um die Tannenäpfel zu suchen. Ja, Ihr hättet mich
sogar in meinem dicken Winter – Sürtout hoch oben in einer Tannenspitze sehen
können. Freilich hatte ich mich vorher gehörig umgesehen; denn der Herr
Kreisrichter durfte sich doch nicht auf einem ganz offenbaren Waldfrevel
ertappen lassen. Jeden morgen, die
letzten Tage, kommt der Postbote und bringt ein Päckchen oder einen Brief aus
der Heimat oder aus der Fremde von Freunden. Die Weihnachtszeit ist doch gerade
noch so schön, wie sie in meinen Kinderjahren war. Wenn nur noch der Schnee
kommen wollte; wir wohnen hier so schön einsam zwischen den Bergen, da müsste der
Weihnachtsbaum, wenn er erst brennt, prächtig in die Winterlandschaft
hinausleuchten…
An die Eltern, 20.12.1856
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